Für mich bedeutet "Reitkunst":
Körper & Geist des Pferdes gekonnt individuell zu schulen
und zu stärken.
Im Sinne einer Aufgabe
(> Tragen des Reiters)
& im Sinne des Pferdes.
Reiten kann man wohl getrost als etwas definieren, dass ein Pferd und ein Mensch gemeinsam tun, mit ihren Körpern. Kommt die "Kunst", also das Können dazu, dann ist es eine bewusste und durchdachte Schulung dieser zwei Körper auf ein höheres Ziel hin. Damit ist zumeist die "Hohe Schule", die Fähigkeit des Pferdeskörpers, geschmeidig Übungen bis hin zu Schulsprüngen auszuführen, gemeint. Gemeinhin wird diese Praxis bis in die Antike zu Xenophon zurückdatiert.
Reitkunst ist alt- und "Reitkunst" ist nicht so einfach!
Hinter dem Begriff der "Reitkunst" verbergen sich ganze Theorien, vom Ausbildungs- und Sozialsystem bis hin zur Geschichtstheorie. Durch Zusätze drückt man genauer aus, was gemeint ist:
"Klassische Reitkunst" bedeutet in der Regel eine ältere, nicht wettkampforientierte, eben "klassische" Form der Dressur. Dieser Begriff wird besonders im 20. Jh. geprägt und genutzt.
Der Begriff der "Akademische Reitkunst" zielt auf die alten Adelsakademien von Renaissance und Barock ab und wird heute meist mit dem System von Bent Branderup verbunden. Der Titel "Academic Art of Riding" ist für dieses System geschützt worden.
Einige langjährige Trainer der Akademischen Reitkunst, unter anderem meine Meisterin Sabine Oettel, bezeichnen ihre Arbeit mit "Alte akademische Reitkunst". Diesen Begriff empfinde ich auch für mich als stimmig. Er zeigt die Anbindung an die Ausbildung durch die Akademische Reitkunst als System und durch Sabine Oettel persönlich. So verweist er auf die Zugehörigkeit zu dieser "geistigen Familie", ohne dabei zu stark von einem Lehrsystem abzuhängen.
Ergänzend betone ich gern meine eigene Forschungsarbeit und mein Wachsen an dieser mit dem Begriff der "historisch-orientierten Reitkunst", weil dieser meine Philosophie, meinen eigenen Weg und mein Herkommen für mich am besten ausdrückt. Grundsätzlich passt der Begriff "klassische Reitkunst" auch, wenn man sich weniger am herkömmlichen Reittunier als an der Gymnastzierung des Pferdes orientiert, ganz gleich mit welchem Ziel.
Die gemeinsame Basis:
REITKUNST
Aber wie auch immer man es persönlich definieren mag, ein paar weitere Grundsätzlichkeiten gelten für alle. Zum einen leben wir alle im 21. Jahrhundert und nicht früher. Unsere Einstellung zum Pferd, unser Wissen, unser ganzes Selbst und unsere Lebensumwelt ist modern. Der Blick zurück kann hauptsächlich als Reflexionsfläche oder Inspiration dienen. Über meine leidenschaftlichen Forschungen zur vormodernen Reitkunst erfahren Sie unter dem Kapitel "Forschung" mehr.
Heute haben wir komplexe Ausbildungssysteme von einfacher Basis-Bodenarbeit bis hin zu ambitionierter Longen- oder Handarbeit oder Arbeit am langen Zügel, während die historische Pilarenarbeit weitestgehend wegfällt. Dies ist so vom 20. Jahrhundert an gewachsen. Und es ist gut so. Es passt so in unsere Zeit. Ich finde, dass die heutigen Systeme der Reitkunst für jedes Pferd-Reiter-Paar individuell die richtigen Methoden und Herangehensweisen bieten. Besonders, wenn man, wie ich es ja tue, die "angewandte Reitkunst" (die an der Aufgabe geprüfte Reitkunst) dazu nimmt.
Ich bin durch und durch stolz, Reitkünstler zu sein! Die Philosophie, die eigentlich alle Reitkünstler eint, ist der hohe Anspruch an die Lektionen verbunden mit der strikten biomechanisch-korrekten Ausführung: Alles immer im Sinne des Pferdes, so gut wir nachvollziehen können, was das bedeutet, natürlich. Nicht das Außen, das Material, das Pferd, der Trainer (usw.) macht die Reitkunst: Die Einstellung macht sie. Eigentlich ist alles ganz einfach, oder um es mit dem großen Reitmeister des 19. Jahrhunderts, Gustav Steinbrecht, zu sagen:
"Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade."
Nicht zuletzt sollte die Freude auch einen großen Anteil daran haben. Wir halten heute Pferde, weil wir es können, aus Freude.
Reitkunst sollte Freude und Genuss sein.